ANTIGONE. UND WER SPIELT DIE AMME?
[Presseecho]

 

ANTIGONE REVISIDED
In einer Eigenproduktion zeigt das Theater Drachengasse, wie aktuell antiker Stoff sein kann auf den Brettern, die die Welt (be)deuten.
Der französische Dramatiker Jean Anouilh holte in den 1940ern den antiken Stoff von Antigone, die sich gegen die Staatsmacht stellt und dem Gesetz der Götter folgend ihren toten Bruder begräbt, in eine gottlose Zeit. Seine Version wurde 1944, also während der deutschen Okkupation, in Paris uraufgeführt. Antigones Nein-Sagen wurde von vielen als Ausdruck des Widerstandes gegen die Besatzungsmacht aufgefasst.
Antigone ist ein Mädchen, das nicht zu unterwerfen ist, eine widerspenstige Widerständige; Kreon, der König von Theben, ist der Vertreter der Macht-Menschen/Politiker, die ein höheres Ziel vorgeben, um die eigene Position nicht reflektieren und eventuell revidieren zu müssen. Antigone tritt ihm als Handlungsfähige entgegen, geleitet durch ihr Gefühl für Wesentliches. Politische Manipulationen lassen sie unbeeindruckt. Als Autorität erkennt sie nur sich selbst an: ihren Willen zur Eigen-Macht. Eine Freiheit, die sie sich konsequent (heraus-)nimmt. Dafür bezahlt sie mit ihrem Leben – ein Zeichen für praktizierten Widerstand und Unbeugsamkeit.
Anouilh ließ Kreons Argumente teilweise überzeugend klingen. Antigone hat – außer ihrem Widerwillen gegen die eine, willkürliche Bestimmung des Regimes – kein Argument. Sie bleibt trotz hoher Überredungskünste unbeugsam und verliert ihr Leben.
Die österreichische Schriftstellerin und Lektorin Barbara Neuwirth hat das Stück für das Theater Drachengasse bearbeitet und sieht darin den Beweis, dass niemals Kreon zu Antigones Retter werden konnte, sondern nur Antigone zu seiner Retterin. Die Schwestern Antigone und Ismene unterscheiden sich darin, daß für die eine die Menschlichkeit, für die andere das Leben Vorrang hat. Ismene nennt Antigone eine Verrückte. Antigones toughe Replik: „Alle sagen zwar, es sei ein schmutziges Geschäft, aber wenn man es nicht selbst macht, wer soll sie dann tun?“ Sie missachtet die Weisung und begräbt ihren am Schlachtfeld gefallenen Bruder, stellt dadurch seine Totenehre wieder her.
Barfuß, mit Armen und Beinen voller Schlamm steht sie vor uns: wie ein Baum, der aus seiner eigenen Mitte herauswächst. Hinreißend und kraftvoll zugleich verkörpert von Susanna Schaefer.
Die Inszenierung in der Drachengasse verzichtet weit gehend auf Requisiten, arbeitet mit Körpersprache. Die antike Stimmungslage ist modernen Schwankungen unterworfen: durch die Rolle des Polizisten (genderswitching einmal anders: er spielt auch die Amme) und Nachrichtensprecher-Exkurse werden Getragenheit und Pathos ironisch gebrochen. Zwischendurch singt Ismene (auch als Eurydike zu sehen) melancholische Lieder, die ins Herz zielen und es auch treffen. Masken, Trommeln, Komik und Dramatik sind nah beieinander, Besinnliches und Sinnliches, Poesie und Kalauer, alles in einem Füllhorn gut durchgemischt. Dadurch entsteht aus der Vielfalt mythologischer und anderer Ereignisse Dichte, spannungsgeladene Ruhe. Ein Gefühl, am Puls zu sein, Zaungästin am königlichen Hof.
„Die Amme!“, nun als moderner Mann, stellt eine Bruchlinie her: von der Dramaturgie kommend, gibt er Tipps zur Verbesserung; grob gesagt (und sehr plastisch dargestellt): sex & crime. Er schlägt Schüttbilder, avantgardistische Anleihen bei Nitsch, und eine Nonnenprozession, die einen Riesen-Phallus mit sich führt, als Showeinlage vor.
Außerdem imaginiert er eine Fellatio, nach der dem Mädchen der Mund birst. Das ist der Moment (jener der Wahrheit?), wo das Lachen im Hals stecken bleibt. Unnötige Anbiederung an welchen Geschmack? Massentauglich ist das kleine Theater ohnedies nicht. Aber Eurydike, die an einer roten Vagina stricken soll, hat Witz.
Alles in allem: Absolut sehenswert!
An.schläge, April 2003

FURCHTLOS GEGEN DIE MACHT
Hier das Private. Dort die Staatsräson. Das sind die Eckpfeiler des „Antigone"-Dramas. Jean Anouilhs Version der Sophokles-Tragödie kam 1944 im besetzten Paris heraus. Die Unbeugsamkeit der Titelfigur, sich dem König Kreon zu unterwerfen, wurde als Zeichen für den Widerstand gegen die Nazis verstanden.
Auch heute regt es zu politischen Assoziationen an, wenn Kreon seine Gedanken entwickelt. Aus ihm spricht ein Mann, der die Macht über alles Andere stellt - koste es, was es wolle.
„Antigone. Und wer spielt die Amme?" heißt die Aufführung, die jetzt im Theater Drachengasse läuft. Die Bearbeitung von Barbara Neuwirth und Erhard Pauer nimmt die Anouilh-Tragödie ernst und raubt ihr zugleich viel Pathos.
Gelungen. Man sieht einer armen Theatergruppe zu, die – „fünf Darsteller, elf Rollen!" die „Antigone" aufführen will (ein Mann spielt die Amme). Man erlebt eine köstliche Parodie aufs Regie-Bewegungs-Aktions-Theater. Zwischendurch immer wieder Anouilh pur.
In Erhard Pauers Regie fließen Drama und Komödie wunderbar ineinander. Susanna Schaefer ist eine energiegeladene, sinnliche Antigone, die ohne Furcht dem König Kreon entgegentritt. Jörg Stelling spielt ihn mit kaltem Charme. Astrid Herbich, Sebastian Huppmann und der raue Komödiant Karl Wozek vollenden die prächtige Ensembleleistung.
Kurier, 19. März 2003


SPIELE VON MACHT UND GEWALT
Man nehme „Antigone" – die von Anouilh – stelle das Stück in eine Rahmen-handlung (Schauspieler bei der Probe), unterbreche auch immer wieder, flechte witzige Kritik an „Regieeinfällen" ein. So taten Barbara Neuwirth und Erhard Pauer und herauskam: „Antigone. Und wer spielt die Amme?", ein Puzzle, das jetzt im Theater Drachengasse Premiere hatte.
Wozu das alles, könnte man fragen. Was soll die Spielerei? Bei flüchtigem Hinsehen schüttelt man den Kopf, denkt vielleicht sogar: Schmockerei. Doch beginnt man nachzudenken, geht die Rechnung auf: die Autoren jonglieren mit der Macht, mit der Gewalt. Und Macht und Gewalt sind es ja, die zum Unheil führen. Nicht nur bei Antigone. Eine Spielerei ist das Ganze vielleicht, aber eine sehr gescheite, doppelbödige, hinterfotzige.
Unter der gekonnten Regie von Erhard Pauer verkörpert Susanna Schaefer die Antigone, mitreißend, berührend, atemberaubend. Brillant ist auch Jörg Stelling als Kreon. Sebastian Huppmann, Astrid Herbich, Karl Wozek skizzieren unterschiedliche Figuren scharf und eindrucksvoll. Für die stimmige Ausstattung zeichnet Elisabeth Neururer-Binder.
Wiener Zeitung, 19. März 2003