EURIDIKE
[Presseecho]


Sprache, Tanz, Klang
Multimedia für einen Mythos: "Eurydike" beim Brucknerfest in Linz. Die Uraufführung kommt am Donnerstag in Salzburg ins Schauspielhaus.
Von Karl Harb
Salzburger Nachrichten, 20. September 2004

Das Schauspielhaus Salzburg, wie sich die Elisabethbühne nun definitiv nennt, sucht neue Wege und fand für ein erstes, Sparten übergreifendes Projekt gleich mehrere Partner: die Editta Braun Company, die Autorin Barbara Neuwirth, den Komponisten Thierry Zaboitzeff, die Junge Philharmonie Salzburg unter Elisabeth Fuchs – und als Koproduzenten das Brucknerfest in Linz.
Im großen Saal des Brucknerhauses fand am Samstag die Uraufführung von "Eurydike" statt. Darin wird der klassische Mythos vom Sänger Orpheus, der seine Geliebte aus dem Hades retten könnte, wenn er sich nicht nach ihr umschaute, an einem anderen metaphorischen Ort angesiedelt. Es ist ein Frachtschiff, auf dem ein Fährmann, man darf ihn mit Charon, aber auch ein bißchen mit dem Fliegenden Holländer assoziieren) seltsame Container transportieren: Menschen.
Die Verschränkung der einzelnen Medien öffnet durchaus andere atmosphärische Räume. Der Text wirkt beim ersten Hören in seinem Schweben zwischen der Beschreibung einer konkreten Situation und seiner Abstrahierung poetisch so dosiert, daß sich das Schauspiel mit den anderen Sprachen dieses Multimedia-Experiments, der Körper-Sprache des Tanzes und der Klang-Sprache der Musik, nicht uninteressant mischt.
Ob aus den Teilen ein zwingendes Ganzes wird, ließ sich im Brucknerhaus nicht wirklich feststellen. Ein Konzertsaal ist schwerlich in ein Theater zu verwandeln _ und so blieb das Geschehen sehr auf Distanz. Wenn am Donnerstag die Aufführungsserie in Salzburg beginnt, wird das Publikum gewiß näher dran sein, die Schauspieler werden keine Mikroports benötigen, die Tänzer der Company von Editta Braun dürften dann auch weit besser (und intensiver) zu sehen und direkter zu erleben sein als in Linz.
Als ersten Eindruck nimmt man immerhin Szenen mit, in denen sich Schauspiel und Bewegung einleuchtend verschränken, ohne daß die Metapher der Spiegelung der Handelnden allzu platt wirken würde. Dort, wo das "Nebeneinander" zum "Miteinander" wird, reift die Suggestion deutlich.
Der musikalische Klang des achtköpfigen Orchesters kann sich natürlich im Brucknerhaus gut und akkurat entfalten. Die kompositorische Substanz scheint indessen fürs Erste das Problematischste an dieser ambitioniert-gewagten Produktion: wenig kontrastreich pendelnd zwischen minimal music und spirituellem Arvo Pärt-Abklatsch.

Reise in das Totenreich:
Ein spannendes Projekt großteils ebenso umgesetzt: "Eurydike", die Kombination von Text, Musik, Tanz, Schauspiel, am Samstagabend im Linzer Brucknerhaus uraufgeführt.
Von Silvia Nagl,
Oberösterreichische Nachrichten, 20. September 2004

"Diese Reise ist für Sie ein einmaliges Ereignis", sagt Kapitän Hades zu Eurydike, die auf einem Containerschiff - das Bühnenbild in Form einer imposanten Schiffsreeling – mit ihr unbekanntem Ziel unterwegs ist. Die Grundidee der Tänzerin und Choreografin Editta Braun, unterschiedliche Kunstgattungen in einem Projekt rund um die Geschichte von Orpheus und Eurydike zu vereinen, konnte bei der Uraufführung großteils fesseln und faszinieren.
Daran hauptbeteiligt sind Komponist Thierry Zaboitzeff, Autorin Barbara Neuwirth, Regisseur Robert Pienz, die Junge Philharmonie Salzburg unter Elisabeth Fuchs. Eine gut durchdachte Regieführung hat die Kunst-Elemente nicht nebeneinander ablaufen, sondern zu einem gleichberechtigten Miteinander werden lassen.
Genial die Idee, die Tänzer gleichsam als Alter Ego der jeweiligen, von den Schauspielern dargestellten Figuren einzusetzen. Damit lässt sich parallel zum Schauspiel getanzte Seelenschau betreiben, aber auch ungewöhnliches Bild-Erleben zeichnen.
Die Musik von Zaboitzeff ist illustrativ, assoziativ, auch plakativ, lässt bedrohliches Grollen, feinnerviges Klagen oder rhythmisches Stampfen hören. Das alles kongenial umgesetzt von der Jungen Philharmonie unter Elisabeth Fuchs, die wie eine Zeremonienmeisterin zur Umsetzung der rhythmischen Klangwelten animiert.
Allerhöchste Güte
Der Text von Barbara Neuwirth ist mit Witz und Poesie geschrieben. Die zentrale Frage ist, ob denn der Triumph das Wichtigste an Orpheus' Tat gewesen sei? Und ob Vertrauen Schwäche oder Stärke sei? Was natürlich eine komplett andere Sichtweise zulässt. Kurz die mythologische Geschichte: Orpheus liebt Eurydike, die nach einem Schlangenbiss stirbt. Er bittet die Unterweltgötter, Eurydike wieder zu bekommen. Bitten und Gesang erweichen die Götterherzen. Er darf Eurydike in die irdische Welt geleiten, sich dabei aber nicht nach ihr umdrehen. Was er dann doch tut, und somit Eurydike für immer verliert.
Harald Fröhlich (Hades), Daniela Einzi (Prospik), Foto Editta Braun.
Die kraftvolle, strenge, kantige, dann wieder geschmeidig-weiche und zerbrechliche Choreografie gibt den Figuren zusätzlich Charakter. Der Tanz-Vierer ist von allerhöchster Güte und Intensität. Schade, dass im Programmheft die Namen der Mitwirkenden den Bühnenfiguren nicht zuzuordnen sind.

Auf dem Totenschiff
In Salzburg angekommen: "Eurydike" erzielt in der Mischung aus Schauspiel, Tanz und Musik im Schauspielhaus durchaus starke Wirkung. Von Karl Harb
Salzburger Nachrichten, 25. September 2004

Der Mythos ist unsterblich. Der Sänger Orpheus, der die Herrscher der Unterwelt betörte, könnte seine verlorene Geliebte Eurydike aus dem Hades zurück ins Leben führen – wenn er sich nicht vorschnell zu ihr umdrehte, aus unstillbarer Liebessehnsucht.
Hier, auf der Bühne des Schauspielhauses Salzburg im Petersbrunnhof, im Miteinander des Schauspiels von Barbara Neuwirth, des Tanztheaters von Editta Braun und der Musik von Thierry Zaboitzeff, liebt Eurydike, aber Orpheus strebt zu anderen Zielen. Die Frau ist ihm zu "frei"; sich in der Erinnerung einzurichten, wäre bequemer, die "Gegenwart" der Frau verlangt ihm (zu) viel ab.
Auf der anderen Ebene spielt sich der Kampf zwischen Hades/Aides und Persephone ab, die Herrin und Gefangene zugleich ist. Artifiziell ist das alles miteinander verquickt: auf der dunklen Fahrt des Totenschiffs, dessen Kapitän nicht Charon, sondern Hades selbst ist, wo sich Rieke/Eurydike einquartiert hat, wo – auch – Grenzen verschwimmen.
Der Ton der Sprache ist poetisch überhöht, aber ehe er zu banal oder gar hohl tönen könnte, wird er aufgefangen durch die Theaterform, die für dieses "Spiel" gefunden wurde. Sie setzt das Schauspiel (und seine Figuren) spiegelbildlich in Beziehung zum Tanz und zur Klang-Kulisse, beides Mittel, die auf hoher Emotion beruhen.
Es ist ein veritables "Kunststück", wie Regisseur Robert Pienz und Choreografin Editta Braun Bilder erfunden und gefunden haben, die einander ergänzen und durchdringen: Die Schauspieler (Elke Hartmann, Christoph Kail, Daniela Enzi, Harald Fröhlich und der hämisch-ironische Volker Wahl als Hermes) erreichen behände Beweglichkeit, die famosen Tänzer, die die Figuren wirklich spiegeln, nicht verdoppeln (Magdalena Caprdova, Andrej Petrovic, Patricia Böhm und "Hermes" Juray Korec), entwickeln schauspielerische Präsenz.
Denn in Salzburg – nach einer Aufführung im Linzer Brucknerhaus – sitzt man als Zuschauer direkt am Geschehen: quasi an einer Längsseite des abstrahierend angedeuteten Schiffes (exzellent Ragna Heinys Ausstattung und Thomas Hinterbergers Licht), unmittelbar einbezogen in einem neuen theatralischen Blickwinkel. Das schafft unmittelbare Intensität, quasi einen direkten gegenseitigen Zugriff.
Auch die Musik (im engagierten, vorzüglichen Spiel der Jungen Philharmonie unter Elisabeth Fuchs) ist in Salzburg dicht integriert in ein sehenswertes Gesamtkunstwerk.

Aufführungen bis 20. Oktober.